Die WeinArt 1961er Bordeaux Verkostung – 10 Legenden unter der Lupe
Einer der unbestritten größten Jahrgänge, die jemals in Bordeaux produziert wurden, ist 1961. Natürlich begegnete uns über die Jahre immer mal wieder ein einzelner 1961er, aber eine Probe mit zehn dieser Weine - das ist schon sehr lange kaum vorstellbar. Aber wir haben diesen Traum in die Realität geholt… Ursprünglich zum 60. Geburtstag des Jahrgangs geplant, konnten wir diese Nonplusultra-Verkostung am 17. November 2022 in unserem WeinArt Salon in Geisenheim endlich nachholen. Stellt man sich vor, dass etliche dieser Weine als Einzelflasche heutzutage mehr kosten als die von uns pro Gast erbetene Kostenbeteiligung für die gesamte Veranstaltung… dann wundert man sich nicht, dass die Probe im Nu ausverkauft war. Nach dem festlichen Aperitif mit 2012 Champagner Bollinger La Grande Année aus der drei Liter Jeroboam Flasche hatten 14 Gäste das einzigartige Vergnügen, mit uns die folgenden Weine zu probieren:
Erster Flight:
1961 Mouton Rothschild, Pauillac
Bereits die dunkle, strahlend klare Farbe verleugnet jeden Hinweis auf einen nunmehr 61 Jahre alten Bordeaux. Im sich nur langsam öffnenden Bouquet finden sich anfangs Leder, Grafit, Tabak und Kräuter. Vielschichtige, dicht gepackte Aromen. Am Gaumen zuerst konzentrierte Frucht, gesunde Tannine. Die Säure ist deutlich spürbar und schenkt viel Frische. Im Vergleich mit dem 1961er Lafite Rothschild und 1961er Latour ist er dem Lafite bereits in allen Belangen überlegen, bietet aber noch nicht die faszinierenden Fruchtnoten des Latour. Doch im Gegensatz zu den beiden Flight-Nachbarn legt der Mouton Rothschild gewaltig zu und entfaltet sich zu einem Monument, welches keinen geringeren Namen als Jahrhundertwein verdient. Konzentrierte Frucht, gepaart mit ätherischen Kräuteraromen, übernehmen das Kommando. Die Tannine treten in den Hintergrund und stützen die mit feinster Süße versehene Frucht. Flaschen dieser Güte werden mit Sicherheit noch weitere zwei Jahrzehnte nobel weiterreifen und Kenner*innen in höchste Verzückung versetzen.
1961 Lafite Rothschild, Pauillac
In der Farbe etwas entwickelter als Mouton Rothschild und Latour. Im Glas ein gesundes Rot mit aufhellendem Rand. Das Bouquet getragen von Unterholz, getrockneten Kräutern, roten Johannisbeeren bei weitem nicht so verführerisch wie links und rechts nebenan. Zusätzlich zeigte sich eine leichte Unsauberkeit, eine etwas modrige Note. Eingezwängt zwischen zwei mächtigen Kraftprotzen, tat mir der Lafite fast schon leid. Doch 1961 Lafite Rothschild schöpft das Potenzial des großen Jahrgangs nicht voll aus, es fehlt an Saft und Süße. Natürlich ist es ein guter Bordeaux, der auch keinerlei Müdigkeit zeigt, aber im Kontext von Premier Grand Cru Classé Reputation und Jahrhundert-Jahrgang sollte der Wein stärker sein.
1961 Latour, Pauillac
Von allen zehn 1961er Weinen hat der Latour die dunkelste und dichteste Farbe. Offenes, einladendes, im höchsten Maß verführerisches Bouquet: Brombeere, Heidelbeere, Grafit, Tabak, Cassis. Blind verkostet würde man denken, dass man einen 1982er im Glas hat. Aristokratisch, nobel, erhabener Auftritt. Keinerlei Zweifel an seiner Größe. Ein Kraftwerk: mineralisch, zupackend und dicht. Die Tannine mächtig, aber vielschichtige Frucht hält dagegen und feinste Säure gibt dem Latour Frische. Auch wenn der Mouton im Glas deutlicher zulegte: Latour hat das Zeug, alle anderen 1961er zu überleben, denn unterhalb der Tannine wartet wahrscheinlich noch mehr Frucht auf ihre Zeit der Blüte. 1961 Latour trinken zu dürfen vermittelt einen ersten Eindruck vom Paradies, wie Weinliebhaber wie ich es sich erhoffen.
Zweiter Flight:
1961 La Gaffelière Naudes, Saint-Emilion, Magnumflasche
Die dunklere Farbe mit keineswegs ungesundem breiterem, bräunlichem Rand hob sich deutlich von den anderen Weinen ab. Möglicherweise ein erster Hinweis auf die von der Rebsorte Merlot dominierte Cuvée. Im Bouquet balsamische Noten, deutlich flüchtige Säure, Bratensauce, eingekochte Pflaumen. Am Gaumen noch immer die angenehme Süße des großen Jahrgangs, die Tannine sind allerdings etwas rustikaler. Wenn man bedenkt, dass Château La Gaffelière Naudes, welches heute La Gaffelière heißt, in den 1960er und 1970er Jahren unterdurchschnittliche Weine produziert hat, dann ist dieser 1961er ein Lichtblick, wenngleich er meines Erachtens neben Lafite Rothschild der „schwächste“ Wein der Probe war.
1961 Cos d’Estournel, Saint Estèphe
Vom ersten Moment an faszinierend. Offenes, aromatisches Bouquet, einladend und Frische vermittelnd: Zedernholz, Tabak, Nelke und deutlich Minze. Dazu dezent dunkle Beeren. Am Gaumen straff und pikant, die Süße kommt nicht mehr vollends durch, befindet sich aber in Balance mit feiner Säure und Tannin. Mittlerer Körper, gute Struktur. Sehr lebendig für sein Alter und in dieser Form ohne jeden Zweifel ein großer Bordeaux mit Potenzial für eine weitere Dekade. Hervorragend.
1961 Margaux, Margaux
Wenn ich einen Wein wie diesen im Glas habe, dann verstehe ich sofort, warum weinbegeisterte Eltern ihrer Tochter den Vornamen MARGAUX geben. Diese Flasche war für mich der eleganteste, finessenreichste und burgunderähnlichste Wein der Verkostung. Dem Glas entströmten vielschichtige Aromen von Tabak, antikem Holz, dunklen Beeren und Kräutern. Am Gaumen reichlich Frucht, eine wahrhaft feine Süße, die Tannine gebändigt. Purer Genuss. Solange man diesen überaus feingliedrigen 1961er Margaux nicht neben Kolosse wie 1961 Mouton Rothschild oder 1961 Latour stellt, wird niemand die vornehme, selbstverständliche Eleganz dieses Weins übersehen, oder besser gesagt an ihr vorbei verkosten können. Margaux, je t’aime.
Dritter Flight:
1961 Haut-Brion, Graves
Im Laufe der Zeit ist 1961 Haut-Brion durch eine glückliche Fügung, genauer gesagt durch den WeinArt Ankauf einer grandiosen 10.000!!! Flaschen umfassenden Haut-Brion Sammlung vor etlichen Jahren, zu dem 1961er Wein geworden, den ich am häufigsten verkosten durfte. Niemals hat er uns enttäuscht, selbst Flaschen mit mehr als 5 cm Schwund konnten den legendären Ruf des Weins nicht im mindestens ankratzen. Auch diese Flasche war überragend. Unglaublich dichtes, facettenreiches Bouquet, Tabak, Grafit, dunkle Beeren und als einziger Wein der Probe nach edler Schokolade duftend. Sehr frisch durch und durch, prägnante Säure trifft auf geballte Frucht. Süße, aber auch eine animierend salzige Note. Facettenreich und lang anhaltend. Das außerordentlich hohe Niveau der Probe (oberhalb der Wolkendecke, mit freier Sicht auf die Sterne) wird unterstrichen durch mein Urteil, dass Château Haut-Brion trotz allen Lobes an diesem Abend einen Hauch hinter Latour und Mouton Rothschild bleibt.
1961 Ausone, Saint-Emilion
Der 1961er Ausone zählt nicht zu den Bordeaux-Weinen, über die alle sprechen, wenn es um die Spitzen dieses Bilderbuch-Jahrgangs geht. Nichtdestotrotz schlug er sich wacker zwischen Haut-Brion und Cheval Blanc. Im Bouquet herrschen vegetale und Kräuteraromen vor, Lorbeer, Thymian, Teeblätter, Unterholz, dazu Muskatnuss. Am Gaumen geschmeidig und gut ausbalanciert, die Frucht angenehm präsent, allerdings sorgen die Tannine für ein leicht austrocknendes Mundgefühl. Definitiv wird 1961 Ausone nicht weiter zulegen, aber an diesem November Abend 2022 stellt er uns mehr als nur zufrieden.
1961 Cheval Blanc
Ein Klassiker! So duftet und schmeckt ein großer Bordeaux-Wein der alten Schule. Im Bouquet findet sich alles, was das Herz, Entschuldigung, was die Nase begehrt. Dunkle Beeren, ein zarter Hauch feinster Vanille, dunkle Kirsche, Himbeere, Minze, Zigarrenkiste, getrocknete Kräuter. Er schmeckt hochelegant und mineralisch, die dezente Süße getragen von präsenter Säure und etwas trockenen Tanninen. 1961 Cheval Blanc wirkt straff, fokussiert, schnörkellos - die ungeschminkte Schönheit eines herausragenden Bordeaux-Klassikers. Ein Wein zum bis ans Ende aller Tage Verliebtsein.
Vierter Flight
1961 La Lagune, Haut-Médoc
Diese Flasche hat ein befreundeter Gast und Winzer großzügigerweise mitgebracht. La Lagune ist ein wenig unter dem Radar der wohlhabenden Weinsammler und Investoren geblieben. Gut so, denn so findet man ältere La Lagune-Jahrgänge noch ab und an zu fairen Preisen. Vor ca. zehn Jahren hatte ich zuletzt eine Flasche 1961 La Lagune im Glas und war damals begeistert. Auch jetzt ein glänzender Auftritt. Farblich zwar recht hell mit bräunlichem Rand, aber diesen Ausdruck von Reife darf ein 61 Jahre alter Bordeaux ruhig aufweisen. Das Bouquet zeigt intensive Aromen von Kaffeelikör, roten Beeren, Pflaume, Unterholz und Kräutern. Gewiss leichter als die besten Weine der Probe, aber dennoch geschmacklich überzeugend mit feiner Süße und Toffee-Noten, die Tannine weich, so dass sich das Bild eines charaktervollen, charmanten und auf den Punkt gereiften Bordeaux-Weins ergibt.
Zum Dessert:
1962 D’Yquem, Sauternes
1961 war für Sauternes kein besonders gutes Jahr und gemäß unserem Anspruch „für die Gäste nur das Beste“ wählten wir den 1962er aus, der mehr als nur ein Geheimtipp ist. In der Tat fand unser Abend mit ihm einen wunderbar süßen Abschluss. Gesunde goldgelbe Farbe, Aromen von Pfirsichlikör, Honig, Aprikose und Bienenwachs, allesamt reintönig und verführerisch. Ein Hauch flüchtiger Säure, wie er bei Sauternes-Weinen häufig vorkommt, im Geschmack eine unaufdringliche Fruchtsüße, Karamell, Waldhonig, im Abgang eine zarte Bitternote. Ein köstlicher gereifter Sauternes in Bestform mit Potenzial für weitere zehn Jahre auf höchstem Niveau.
Fazit:
In meinen fast 25 Jahren bei WeinArt habe ich zahlreiche grandiose Weinproben erlebt. Die 1961er Bordeaux-Probe vom 17. November 2022 jedoch war einzigartig, außerordentlich, denkwürdig und wird unvergesslich bleiben.
Hintergrund der Weine:
Acht der zehn 1961er Bordeaux-Weine stammten aus dem Bestand eines einzelnen Sammlers, der uns seit über 20 Jahren in unregelmäßigen Abständen unvorstellbar rare Preziosen anbietet. Diese Einkaufsquelle ist für uns von unschätzbarem Wert und erfüllt zu 100% unsere Anforderungen für den Ankauf kostbarer Weine. Wir zahlen hier, ohne zu zögern, Preise, die wesentlich höher sind als die aus anderen Quellen, welche wir nicht kennen oder gut genug einschätzen können. Unser Lohn: Eine grandiose Probe, in der fast alle Weine unsere hohen Erwartungen übererfüllten.
Mainzer Sterneküche auf Reisen
Unser besonderer Dank gilt Philipp Stein und seinem Team des Guide Michelin-Ein-Stern- Restaurants „Stein’s Traube“ aus Mainz. Die von ihm in unserer WeinArt Küche perfekt zubereiteten und höchst appetitlich angerichteten Speisen waren kongeniale Partner der herausragenden Weine des Abends. Weißweine wie der aus den Jahrgängen 2019, 2018 und 2017 servierte Ausnahme-Sauvignon Blanc Silex unseres Freundes Louis-Benjamin Dagueneau blühten zur roh marinieten Gelbschwanzmakrele erst richtig auf und auch der gebratene Steinbutt mit Champignonhaube und Burgundertrüffel begleitete die drei weißen Spitzen-Burgunder 2019 Puligny-Montrachet, 2018 Puligny-Montrachet Les Combettes und 2017 Chevalier-Montrachet von Etienne Sauzet vortrefflich. Raritäten im WeinArt Webshop: Aktuell finden Sie noch einige der hier beschriebenen 1961er Bordeaux Weine in unserem Webshop. Selbstverständlich auch die Weine unserer Direktimporte Didier Dagueneau, Loire, Etienne Sauzet, Burgund sowie Champagne Bollinger.