Reise ins Burgund – das Finale
Am Freitag, 9. Juni 2023 hieß es Abschied nehmen vom Burgund, seinen außergewöhnlichen Menschen und der als Weltkulturerbe deklarierten Weinberge der Côte d’Or. Doch vor der Heimreise kamen wir noch in den Genuss eines langen, intensiven Tags, der uns vor Augen führte, wie konträr der Weg zum Spitzen-Burgunder verlaufen kann.
Domaine Felettig – der steinige Weg
Unser erster Besuch führte uns zur Domaine Felettig in Chambolle-Musigny. In Chambolle-Musigny residieren önologische Großkaliber wie Domaine Roumier, Comte de Vogüé und Jacques-Frédéric Mugnier. Und trotzdem hat sich die von Henri Felettig und seiner Frau Reine Mitte der 1960er Jahre gegründete Domäne einen Platz an der Sonne und in unserem Weinherz erarbeitet. Aus anfangs zwei Hektar sind mittlerweile knapp 3,5 ha Besitz plus ca. 9,5 ha gepachtete Fläche, bzw. Parzellen, aus denen Familie Felettig die Trauben bekommt, geworden.
Es empfing uns, wie bei unserem letzten Besuch, Tochter Pauline. Vater Gilbert war wieder mit dem Traktor in den Reben. Apropos Traktor: 2021 war eines der schwierigsten Jahre für die Felettigs. Gilbert Felettig verbrachte im Jahr 2021 ca. 350 Stunden auf dem Traktor, 2020 waren es „nur“ 150 Stunden. Strenger Frühjahrsfrost sorgte für schlaflose Nächte und danach herrschte enormer Druck durch Pilzkrankheiten. Und als wäre das noch nicht genug Stress, waren die Weinberge oft genug so durchweicht, dass kein Traktor-Einsatz möglich war, und alle Schutzmaßnahmen für die Reben per Hand durchgeführt wurden. Frisch verliebte Paare haben keinen engeren Kontakt zueinander als Familie Felettig zu ihren Rebstöcken. Tatsächlich bleibt diese Verbundenheit: Tag für Tag, Jahr für Jahr.
Derartige Passion zahlt sich aus. Was uns Pauline aus dem Jahrgang 2021 servierte, war ausdrucksstark, kräuterwürzig, animierend frisch und voller Energie. Die winzigen Erträge zwischen 15 und 25 hl/ha sind das karge Ergebnis eines hochintensiven Arbeitsjahres. Wir sind froh über jede Flasche, die uns zugeteilt wurde. Sichern Sie sich ihren Anteil. Haben Sie etwas Geduld mit den 2021er Weinen. Es wäre ein Fehler, diese spannenden Burgunder zu verpassen. Lauter möchten wir angesichts der zur Verfügung stehenden Minimengen nicht trommeln. Es liegt jetzt an Ihnen…
Domaine du Clos de Tart – der perfekt ausgeleuchtete Weg
Die Domaine du Clos de Tart hatte seit 1141 nur vier Besitzer und befindet sich seit 2017 in den Händen eines der reichsten Männer Frankreichs: Francois Pinault. Ihm gehören unter anderem auch Château Latour im Pauillac und Château Grillet an der nördlichen Rhône. Der qualitativ größte Sprung gelang in den Jahren 1996 bis 2015, als Sylvain Pitiot buchstäblich jeden Stein in der 7,53 ha umfassenden Grand Cru Lage Clos de Tart umdrehte, um dem Boden seine geologischen Geheimnisse zu entlocken. Monsieur Pitiot identifizierte 27 Parzellen innerhalb der Lage. Sie werden zumeist auch separat im Fass ausgebaut und erst später zu einer Cuvée zusammengefasst. Alles, was nicht den höchsten Ansprüchen genügt, wandert in den Forge de Tart, den zweiten Wein aus dieser Grand Cru Lage. Forge de Tart ist herabgestuft, wird also als Morey St. Denis Premier Cru verkauft. Forschten Sylvain Pitiot und sein Nachfolger Jacques Devauges im Weinberg, um die Weine zu weiterzuentwickeln, so investierte Francois Pinault das eine oder andere Milliönchen in Kellertechnik, die Lagerung und einen eindrucksvollen, perfekt gestylten Empfangs- und Verkostungsaal. Alessandro Noli, aktueller Direktor von Clos de Tart, begrüßte uns mit allergiebedingt erschreckend heiserer Stimme und führte uns wort- und lautstark durch das Weingut. Beeindruckend, blitzsauber und glänzend. Unverkennbar hat man sich an den prachtvoll-repräsentativen Bordeaux-Châteaux der Oberklasse orientiert. Als wir später die Jahrgänge 2020 und 2021 des Hauses probieren konnten, waren wir sprachlos, was die geballte Kombination aus akribisch biodynamischem Weinbau und schier unerschöpflichen Ressourcen für Kellertechnik für grandiose Weine hervorbringen. Grob vereinfacht: Im Weinberg kriecht kein Regenwurm ohne Passierschein von einer Parzelle in die nächste und im Keller sorgt modernste Technik dafür, dass jeder Tropfen Most möglichst schonend und ungestört zu einem denkwürdigen Schluck Wein werden kann. Alessandro Noli und sein Team haben es geschafft, dass die 2021er Weine zum größten gehören, was der fordernde Jahrgang zu bieten hat. 2021 steht hier dem 2020er in nichts nach, im Gegenteil, momentan wirkt 2021 durch die unglaubliche Spannung und feinste Säure noch einen Tick genialer. Wohl denen, die jetzt die Gelegenheit am Schopf packen und beide Jahrgänge im Lauf der nächsten Jahrzehnte vergleichen können. Wir haben 2020 noch am Lager, 2021 folgt voraussichtlich im Frühjahr 2024.
Kurze Mittagspause mit Cyrielle Rousseau
Zur hochwillkommenen Stärkung fuhren wir weiter nach Gevrey-Chambertin, wo wir im „Le Bistrot Lucien“ einen Lunch-Termin mit Cyrielle Rousseau hatten. Cyrielle leitet mit ihrem Vater Eric die legendäre Domaine Armand Rousseau. Für einen Verkostungstermin ihrer aktuellen Kollektion waren die Weine laut Cyrielle momentan unpässlich, sprich in einem nicht perfekten Stadium für eine Beurteilung. Als „kleine“ Entschädigung servierte Cyrielle uns blind eine Flasche 2014er Gevrey-Chambertin Premier Cru Clos St. Jacques. Ein weiterer Höhepunkt unserer Reise. Der 2014er bestach durch eine wundervolle Kräuterwürze und feine, warme Süße, die wir in diesem eher kühlen Jahrgang und der zusätzlich kühleren Lage nicht erwartet hätten. Ein Bilderbuch-Burgunder, der seine Ausnahmestellung unter den Premier Crus in Gevrey-Chambertin auch bei unserer Rousseau-Probe am 30.06.2023 mehr als bestätigte.
Domaine des Lambrays – der Weg kommt uns bekannt vor…
Die Grand Cru Lage Clos des Lambrays grenzt nördlich direkt an Clos de Tart an. Auch sonst verbindet die beiden dazugehörigen Weingüter einiges. Domaine des Lambrays wechselte ebenfalls den Besitzer. Seit April 2014 gehört es zum LVMH-Konzern. Und im März 2019 heuerte Jacques Devauges als Kellermeister an, der zuvor sehr erfolgreich die Domaine du Clos de Tart Weine bereitet hatte.
Lange Jahre schöpfte Domaine des Lambrays das Potential seiner Weine nicht komplett aus und stand im Schatten des nur einen Steinwurf entfernten Rivalen Domaine du Clos de Tart. Jacques Devauges praktiziert nun konsequent, was er auf Clos de Tart verfeinert hatte. Man sagt zurecht, dass im Wein Wahrheit liegt. Für Jacques Devauges liegt die Wahrheit zuerst einmal unterm Rebstock. Inzwischen hat er in der Spitzenlage Clos des Lambrays elf unterschiedliche Parzellen identifiziert. Dank der finanzkräftigen Unterstützung von LVMH ist eine hochmoderne Kellerei gebaut worden, in der Jacques sämtliche Moste der einzelnen Parzellen separat ausbauen kann. Wie zuvor beim Clos de Tart… nur mit dem Unterschied, dass die Fässer mit den Weinen aus den einzelnen Parzellen im Keller exakt so nebeneinander liegen, wie sie sich geografisch im Weinberg befinden. Natürlich geschieht alles nach biodynamischen Regeln. Das Ziel qualitativ aufzuschließen ist gelungen, auch preislich.
Wir konnten 2022er Fassproben testen. Wenn Sie mich kennen, wissen Sie, dass ich nichts von Angeberei halte und auch nicht mit Superlativen um mich werfe. Aber zum Burgunder Jahrgang 2022 muss ein „WOW!“ her. Und ja, tatsächlich schmecken die einzelnen Parzellen im Clos des Lambrays spürbar unterschiedlich. Und zwar auf einem Himmelsleiter Niveau, nennen wir es doch Stairway to Heaven. Beeindruckend, was Jacques Devauges seit seinem ersten Jahrgang 2019 auf Domaine des Lambrays erreicht hat. Wir freuen uns auf den Jahrgang 2021 im Dezember 2023. Sie sollten es auch.
Domaine Méo-Camuzet – der Königsweg zwischen Tradition und Moderne
Am späteren Nachmittag folgte unser letzter Termin. In Vosne-Romanée, wo Pinot Noir Träume sich erfüllen und in Flaschen abgefüllt werden, besuchten wir unseren Freund Jean-Nicolas Méo auf seiner Domaine Méo-Camuzet. Mehr als dreißig seiner Jahrgänge (sprich ALLE, seit er in die Domäne seiner Familie zurückgekehrt ist) haben wir bisher erfolgreich ein- und verkauft und nicht zuletzt mit größter Hingabe getrunken. Für mich ist der Gang in seinen Keller stets etwas Besonderes, man spürt, wie hier feinste Weine in familiärem Ambiente in aller Ruhe heranreifen dürfen. Nichts deutet darauf hin, dass hier einige der weltweit begehrtesten Pinot Noir Weine wie Vosne-Romanée Au Cros-Parantoux oder Richebourg im Fass schlummern. Bedächtig lässt Jean-Nicolas einfach seine Weine sprechen. Die Gewissheit, dass hier niemand überzeugt werden muss, führt zu einer sichtlichen Gelassenheit. Manchmal blitzt Jean-Nicolas‘ verschmitzter Humor durch, die Atmosphäre ist vertraut locker. Man kennt sich einfach gut und schätzt sich sehr. Offen redet Jean-Nicolas über die mannigfaltigen Probleme, mit denen er im Jahrgang 2021 konfrontiert wurde. Seine 2021er Weine zeigen das nicht. Pinot Noir mit Biss, würziger Frucht, frischer Säure und Charakter, nicht umgehend charmant und geschliffen wie die vorangegangenen warmen Jahrgänge 2019 und 2020. Die Unterschiede in den einzelnen Lagen sind beachtlich, aber naturgegeben. Während momentan beispielsweise der Corton-Perrières seine karge und mineralische Seite zeigt, wirkt der Corton Clos Rognet anmutig mit seidiger Transparenz und feiner Süße.
Eine authentische und überaus gelungene 2021er Kollektion. Klar ist, dass Weine wie Vosne-Romanée Aux Brûlées, Vosne-Romanée Au Cros-Parantoux und Richebourg eine heilsame Wirkung auf sämtliche Wunden haben, die der Jahrgang im Laufe der Vegetationsperiode geschlagen hatte. Dankbar und mit Vorfreude auf die ab Dezember bei uns erhältlichen 2021er Méo-Camuzet Weine machten wir uns abends auf den Heimweg zurück in den Rheingau.