Charlotte Dagueneau von der Domaine Didier Dagueneau hat eine besondere Vorliebe für deutsche Riesling-Weine. Zum Abschluss ihres Besuchs bei uns im Rheingau bin ich am 9. März 2017 mit ihr an die Saar gefahren. Wir hatten einen Termin bei Egon Müller im Scharzhof. Der Jahrgang 2016, der die deutschen Winzer vor enorme Herausforderungen gestellt hatte, stand zur Verkostung bereit.
Egon Müllers 2016er Weine waren sämtlich noch Fassproben, allerdings schon "klar" und deshalb ideal, um einen Eindruck vom Jahrgang zu bekommen. Kapriolen von Mutter Natur reduzierten die bei Egon Müller ohnehin schon sehr niedrigen Erträge auf unter 15 hl/ha. Die kompromisslose, penibelste Sortierung von Beere zu Beere hat sich zumindest qualitativ gelohnt. Die 2016er von Egon Müller sind in jeder Hinsicht herausragend, hier meine Verkostungsnotizen:
2016 Scharzhof Q.b.A., AP-Nummer 1
Sehr helle Farbe, in der Nase noch leicht vom Schwefel beeinflusst. Zarte Zitrusaromen, Blüten, Kräuter, am Gaumen zarte Frucht, feine, zurückhaltende Süße, elegant tänzelnd, Säure animierend, sehr balanciert. Einziger Wein der Kollektion, der im Edelstahl ausgebaut wird. Sehr erfrischend und superb gelungen.
2016 Scharzhofberger Kabinett, AP-Nummer 2
Etwas offeneres Bouquet, sehr klare, strahlende Frucht, Schiefernoten, nuancierte, feinste Fruchtsüße, exzellente Struktur, delikat, perfekte Balance, einfach ein Prototyp für einen klassischen Kabinett Riesling der Saar. Die Mineralität kommt in dieser fruchtbetonten Phase natürlich noch nicht durch, aber was für toller Wein!
2016 Scharzhofberger Kabinett Alte Reben, AP-Nummer 3
Wird im September in Trier auf der Versteigerung VDP Grosser Ring angeboten. Die Trauben stammen hauptsächlich aus einer Parzelle, die unten am Scharzhofberg liegt, wo es kühler ist. Ideal für den Typ eines hochwertigen, aber leichten, frischen Typ Kabinett. Im Duft noch wesentlich zurückhaltender als der reguläre Scharzhofberger Kabinett. Am Gaumen nicht weniger süß, aber salziger, mineralischer geprägt. Die Frucht noch verdeckt, aber seine exzellenten Anlagen schimmern durch. Er ist enorm vielschichtig, die Säure feinrassig. Ein echt begehrenswertes Juwel, das sicher einen stolzen Preis erzielen wird.
2016 Wiltinger Braune Kupp Spätlese, AP-Nummer 4
Das Bouquet wesentlich "wärmer" als beim Scharzhofberg, etwas Pfirsich, exotische Früchte. Saftige, reintönige Süße, unglaublich präzise, ohne jede Botrytis strahlend klar, konzentriert und lang. Hervorragend mit Wow-Effekt! Absolut überzeugend.
2016 Scharzhofberger Spätlese, AP-Nummer 5
Bouquet vegetaler, mineralischer, wirkt kühler. Später Aprikose, Blüten, etwas Zitrus. Seine ca. 80 g Restzucker wirken perfekt, von feinster Säure gestützt. Perfekte Balance, bleibt konstant ultrafein und sehr lang. Unwiderstehlich.
2016 Wiltinger Braune Kupp Auslese, AP-Nummer 6
Die einzige Auslese des Jahrgangs bei Egon Müller. Wird im September in Trier auf der Versteigerung VDP Grosser Ring angeboten. Schon das Bouquet ist unvorstellbar verführerisch, ein Korb voller Pfirsiche, Aprikosen, Blütenhonig, extrem klar und sauber. Fantastische Dichte, Komplexität, vielschichtig, tolle Süße und grandiose Länge. Bilderbuch-Auslese der Saar.
2016 Scharzhofberger Eiswein, AP-Nummer 7
Mit knapp 400 Liter Eiswein endete die Lese im Scharzhof. Egon Müller schätzt diesen Eiswein eher wie eine Beerenauslese ein und verzichtet deshalb auf das garantiert exorbitante Ergebnis, welches der Wein auf der Versteigerung in Trier erzielen würde. Extrem pikant, absolut pures, ungetrübtes Vergnügen, hochfeine Eleganz statt Wucht, trotzdem konzentriert. Mir fehlen die Worte für den Tanz, den dieser Eiswein auf meiner Zunge und am Gaumen vorführt. Denkwürdig.
Zum Schluss durften wir im Salon von Egon Müller noch zwei gereifte Weine raten. Zu Beginn ein Scharzhofberger Kabinett aus dem großen Jahrgang 1997. Erster Eindruck: Sehr ausdrucksstarke Schiefernoten. Leichte Firne? Farbe Grüngelb. Mit zunehmender Luft verschwand der Anflug von Firnis vollends und wich zugunsten von kräuterig feinwürziger Frucht, auch am Gaumen legt er gewaltig zu, ein großartiger Kabinett mit zarter Süße und Potential für weitere zwei Dekaden.
Der letzte Wein unseres Besuchs setzte noch einmal ein Ausrufezeichen: Eine 1983er Scharzhofberger Auslese. Grüngolden stand sie im Glas, im Bouquet deutliche Honignoten, wunderschöne Frucht, unglaublich elegant, feinste Süße und noch immer eine präsente Säure, die alles in Balance hält. Glasklar, saftig und lang. Unglaublich köstlicher Riesling, der jetzt trinkreif ist aber sein hohes Niveau noch lange halten wird.
Autor: Hans-Jürgen Teßnow