Statt über Pinguine und Wale kann ich Ihnen heute über Turin, die prachtvolle Metropole im Herzen des Piemont, berichten. Aus heutiger Sicht, Mitte Januar 2022, kaum zu glauben, waren die Corona-Inzidenzen in Italien und auch in Frankreich, der zweiten Station unserer Urlaubsreise, deutlich niedriger als in Deutschland. Wir konnten ohne zusätzlichen Test über die Alpen einreisen. Die Stadt begrüßte uns mit strahlend blauem Himmel bei 10°C und bereitete uns fortan ein Fest für alle Sinne.
Turin – jenseits der Industrievergangenheit
Was verbindet man häufig mit Turin? Zuallererst Automobilindustrie, denn hier wurden 1899 Fiat und 1906 Lancia gegründet und Lingotto war bis zur Schließung 1982 die größte Automobilfabrik der Welt. Das ist kaum zu glauben, denn wenn man sich heute dort umsieht, findet man ein lebendiges, vielfältiges Kultur- und Messezentrum vor. Die Transformation ist vollends gelungen.
Pinacoteca Agnelli und (ALL YOU CAN) Eataly
Die Pinacoteca Agnelli der Fiat-Eigner lohnt jeden Besuch. Im Dezember gab es eine Gast-Ausstellung der Fondation Maeght. Auf der Dachterrasse mit Blick auf die Alpen standen beispielsweise Skulpturen von Miró, die sonst im Garten der Fondation in Saint-Paul de Vence ihre Heimat haben. Ebenfalls in Lingotto: Das Gourmet-Paradies Eataly. Hier bekommen Sie über Piemonteser Spezialitäten wie Trüffel und Nougat hinaus alles, was die Herzen der Anhänger italienischer Kochkunst höherschlagen lässt.
Ristorante Casa Vicina – dafür gehen wir meilenweit
Im Green Pea Gebäude, ebenfalls Lingotto, befindet sich gut versteckt im dritten Stock das Ein-Stern-Guide Michelin-Restaurant Casa Vicina. Der Weg lohnt sich, auch wenn man sich dafür zu Fuß auf die Socken machen muss… Unser Hotel im Zentrum liegt ca. vier Kilometer vom Casa Vicina entfernt. Wir nehmen entspannt die U-Bahn in Richtung Benghasi - soweit unser Plan. Dummerweise legte just am 16. Dezember ein Generalstreik alle öffentlichen Verkehrsmittel lahm. Natürlich kein Taxi vorm Hotel. Aber sicher doch an dem einen Kilometer entfernten Hauptbahnhof? Dort eine beträchtliche Warteschlange. Schlussendlich sind wir so flott es das elegante Schuhwerk zuließ drei weitere Kilometer marschiert, um authentische Piemonteser Küche kennenzulernen. Es hat sich gelohnt. Freundliche Gastgeber:innen, eine gut sortierte Weinkarte und unbestritten das beste Rib-Eye Steak, dass je unsere Gaumen verwöhnt hat. Unbedingte Empfehlung. Am Ende eines ereignis- und genussreichen Abends machte man uns keine große Hoffnung, aber wir hatten Glück und sind per Taxi Taxi (wie im Film…) in allen Geschwindigkeitsbeschränkungen verspottendem Tempo zum Hotel gerast. Ich hatte das Gefühl, die Instrumente bestanden nur aus Taxameter und Drehzahlmesser. Sicher ans Ziel, durchatmen und ab ins Bett.
Turin – weitläufig, idyllisch, barock und königlich
Wussten Sie, dass Turin einst die Hauptstadt Italiens war? Nach der Vereinigung des Landes 1861 regierte König Vittorio Emanuele II. von dort aus. Zahlreiche Stadtschlösser zeugen noch heute von der nur vier Jahre währenden Hauptstadt-Episode, bevor Turin von Florenz abgelöst wurde. Die Stadt glänzt durch prachtvolle Barockbauten, Stadtvillen und eine weitläufige Altstadt, durchzogen von Arkadengängen, die sich über insgesamt 18 Kilometer erstrecken. Architekturbegeisterten werden angesichts dieser meist aufwändig restaurierten Meisterwerke längst vergangener Epochen die Augen übergehen.
Turin - Ägypten liegt am Fuß der Alpen
Zugegeben, das stimmt nicht ganz. Allerdings reüssiert Turin mit dem nach Kairo zweitgrößten Museum ägyptischer Kultur mit 32.500 Artefakten. Es ist leicht möglich, mehr als einen halben Tag in den verschlungenen Gängen des 1824 gegründeten Museo Egizio zu verbringen, ohne sich sattgesehen zu haben.
Turin - Kein Filmmuseum ist eindrucksvoller untergebracht
Seit Juli 2000 befindet sich das Filmmuseum Turins in der 167,5 m hohen Mole Antonelliana. Ursprünglich wurde das zwischen 1863 und 1889 erbaute Wahrzeichen als Synagoge geplant, doch nachdem die Kosten explodierten und die finanziellen Möglichkeiten der jüdischen Gemeinde übertrafen, sorgte eine Bürgerinitiative für die Fertigstellung und spätere Nutzung als Museum. Elf Meter höher als der Kölner Dom und bis 1953 das höchste in Ziegelmauertechnik umgesetzte Bauwerk der Erde. Sehr eindrucksvoll.
Ristorante Consorzio – ja, jaa und nochmals jaaaaaaaaaaaaa
Am zweiten und zugleich letzten Abend in Turin kehrten wir ins Ristorante Consorzio ein. Ich verrate hier nicht zu viele Details, aber in diesem von außen unscheinbaren, aber urgemütlichem Restaurant haben wir einen der kulinarisch denkwürdigsten Abende des Jahres 2021 verbracht. Das Zusammenspiel der authentischen schnörkellosen Piemonteser Küche, des engagierten Interesses am Gast, des Dolce Vita versprühenden, die einfachen Holztische umkreisenden vielstimmigen Flairs und des unglaublich weinversierten Mitinhabers: all das kulminierte im nicht gerade tiefsinnigen Fazit, dass es ein wahres Glück ist, so verwöhnt zu werden. Die Neugier, auf Entdeckungsreise zu gehen, anderen Kulturen, fremden Sprachen offen gegenüberzustehen, das möchte ich niemals verlieren. Und zum Schluss: Die Weinkarte könnte ohne jede Änderung im Weinhimmel ausliegen. Falls Sie Fragen haben, kontaktieren Sie mich wirklich gerne.
Nachsatz: Ich habe nicht einmal über die wundervollen Kaffeehäuser geschrieben… besuchen Sie Turin, es gibt mehr Gründe dafür, als ich auf hundert Seiten anführen könnte.
Autor: Hans-Jürgen Teßnow